„Das Leben sucht sich immer einen Weg“….

…diesen Satz hörte ich das erste Mal in dem Film „Jurassic Park„.  Ein Wissenschaftler stellte die Schutzmechanismen in Frage, die andere Wissenschaftler geschaffen hatten, um ihre Dinosaurierexperimente im Zaum zu halten und eine mögliche Vermehrung derselben auszuschließen. Aber die Vermehrung begann, die Dinosaurier schlüpften und fraßen die Wissenschaftler und ihre Frauen einfach auf…….das Leben sucht sich immer einen Weg. Eine Erfahrung die ich im Tierreich öfters beobachten konnte.  Das ist so ähnlich wie die vertrocknete Topfpflanze die jahrelang auf der Fensterbank steht. Auch wenn die vertrocknete Topfpflanze kein Tier ist. Im nächsten Frühjahr und der zufälligen Zugabe von Wasser taucht doch wieder ein kleiner grüner Trieb auf und die Pflanze treibt aus. Totgesagte leben länger (kleiner Witz… nicht falsch verstehen)

Der Artikel hier bezieht sich aber hier eher auf die urbanen Lebensräume „wilder“ Tiere. Hier in Berlin-Kreuzberg findet man öfter skurile Situationen mit wilden Tieren. Und damit meine ich nicht irgendwelche Ratten oder der entlaufene Taggecko vom Nachbarn nebenan. Hier in Berlin gibt es auch so einige Gäste. Diese kehren so langsam auch in diese Stadt zurück und wer ist nachts in Xberg noch nie dem dicken Fuchs begegnet, der vor Burger King die weggeworfenen Wopper-Tüten plündert? Die Stichlings-Population im Wasserfall vom Viktoriapark? Die wilde Population der Biber auf der Havel, die Wildschweine in und um die Stadt, die schon eine echte Plage sind und die Vorgärten verwüsten. Achja, noch zu erwähnen die Marderhunde (ugs. auch gern Mink genannt, werden oft mit dem Waschbär verwechselt) aus dem westlichen Ural sind bereits in Berlin unterwegs…..nur die Wölfe, die in Brandenburg inzwischen frei unterwegs sind lassen sich hier noch nicht blicken. Es geht mir hier aber eigentlich nur um die Stichlingspopulation im Wasserfall am Victoriapark, der von den Einheimischen hier „Kreuzberg“ oder einfach nur „Kreuzer“ genannt wird, der namensgebend für diesen Bezirk steht in dem ich wohne.

trockener Wasserfall im Herbst

trockener Wasserfall im Herbst

Der Wasserfall, indem der dreistachlige Stichling (Gasterosteus aculeatus) zu finden ist, liegt im Winter komplett trocken. Die Pumpe wird abgestellt sobald der Herbst im vollen Gange ist. Das Wasser wird weniger und sammelt sich an den tiefsten Stellen am Berg. Der kleine Teich am Fuße des Wasserfalls ist mit einer Wasserhöhe von max. 40cm auch nicht frostsicher und friert bei harten Wintern bis zum Boden durch, sollte überhaupt noch etwas Wasser drin sein. Da kommt bei mir doch die Frage auf, wie überleben die Stichlinge den Winter in diesem künstlichen Biotop? Die Frage wird auch schonmal hier gestellt….Vertrocknen oder Erfrieren. Andere Möglichkeiten scheint es nicht zu geben und da die Gasterosteus keine Saisonfische oder Torftaucher sind stellt sich die Frage der Überwinterung. Ein Biotop, was regelmäßig im Oktober austrocknet, bildet nicht unbedingt die Basis für eine stabile Stichlings-Population. Inzwischen ist mir die Lösung des Rätsels bekannt aber erstmal mehr über diesen Wasserfall. Im Sommer ist dieser sehr beliebt. Der Kreuzberg dient als Naherholungsgebiet und Touristenmagnet. Das Victoriaparkdenkmal an der Spitze des „Kreuzers“ ist geschichtsträchtig in den Reiseführern erwähnt und bietet, wenn man erstmal oben ist, einen superschönen Ausblick auf die Skyline der Stadt. Auf den Stufen zum Denkmal wird gern gerastet und so findet man dort den gemeinen Freilufttrinker genauso häufig an wie die Touristen, denen sichtlich die Füsse qualmen.  Aber zurück zum Wasserfall:
Hauptsächlich Kinder und Jugendliche sieht man im Sommer barfuss durch den Wasserfall waten. Typisch urbane Sommerstimmung macht sich breit bei 30°C im Schatten. Die Wiesen ringsherum sind voll mit erholfungsbedürftigen Menschen. Einige Kinder sieht man auch mit kleinen Keschern rumlaufen, wie sie jeder vom Strandurlaub kennt. Sie sammeln in wassergefüllten Gläsern zappelnde Kaulquappen.

Stichling, dreistachlig

Stichling, dreistachlig

Ruhige Zone für die Stichlinge gibt es ausreichend

Ruhige Zone für die Stichlinge gibt es ausreichend

Und ab und zu erwischen sie auch einen Stichling der dann zu den Kaulquappen ins Glas gesperrt wird. Dabei sind sie erst im Hochsommer am ganzen Wasserfall zu finden, sowie den umliegenden Überläufen. Im Frühjahr findet man zuerst nur Trockenheit. Der Wasserfall wird über eine Pumpe mit Wasser versorgt, die im inneren des Kreuzberges installiert ist, genauso wie das dortige Wasser-Reservoir. Ist es warm genug, oder hat der Bezirk genug Geld für das Betreiben freigegeben, wird der Wasserfall spätestens Mai in Betrieb genommen und oben am höchsten Punkt fängt das Wasser an zu fließen und es plätschert der Schwerkraft entgegen. Überall verstreut auf dem Kreuzberg bilden sich Tümpel und kleine Flussläufe die den ganzen Sommer über vor sich hin plätschern und Erholung verbreiten. Wird der komplette Kreislauf durch Regen überflutet, läuft das überschüssige Wasser in die „Wolfsschlucht“ und versickert da Richtung Grundwasser.
Das erste Leben das zu sehen ist in diesen Tagen sind die Wasserläufer und Mückenlarven. Das erste mal bewegt sich was in dem neu angelaufenen  Kreislauf. Gleichzeitig tauchen vereinzelt Schnecken aus  der Radix spec. auf. Haben sich wohl irgendwie ein paar über den harten Winter retten können. Und dann kommen mit den ersten warmen Sonnenstrahlen die Laubfrösche und damit auch die Kaulquappen. Die findet man eigentlich den ganzen Sommer durch… daneben einige Tellerschnecken ( Planorbis spec.) und Spitzschlammschnecken (Radix spec.). Diverse Wasserkäfer und Rückenschwimmer Notonecta spec. lassen sich beobachten, aber die Stichlinge sind noch nicht da. Scheinbar.

Rückenschwimmer, Notonecta spec
Und irgendwann, ein paar Tage später findet man im obersten Gumpen des Wasserfalls die ersten Stichlinge die sich sehr über die schon vorhandenen Mückenlarven freuen und sofort anfangen Nester zu bauen.  Seit einigen Jahren beobachte ich das Schauspiel der Stichlinge. Die Männchen bauen ein Nest, dann wird gebalzt und gelaicht.  Und bis Ende Juli gibt es in jedem Seitenarm, in jedem Gumpen und Tümpel viele Stichlinge, die sich weiter vermehren. Bis zum kalten Oktober, der Wasserfall transportiert viele gelbe Blätter die sich unten sammeln und bevor der Frost kommt schaltet man die Pumpen ab. Der Wasserfall versiegt und das Wasser verschwindet  im Inneren des Kreuzbergs für die nächsten 6 Monate. Von oben herab trocknet das erst kurz geborene Biotop aus und hinterlässt Löcher aus Matsch und Laub. Alles konzentriert sich am Ende in den unteren Becken, die inzwischen mehr Laub beinhalten als Wasser.

die letzte Pfütze vorm Exodus

In den letzten Pfützen sammeln sich die Stichlinge unter dem Laub.

Der letzte größere Tümpel. Im Wasser selbst sind hunderte von Stichlingen, einige Laubfrösche und viele Schnecken.

Massensterben der Stichlinge Da wo das Wasser schon fast komplett abgelaufen ist,  zappeln noch hunderte von Stichlingen. Das eiskalte Drama des Aussterbens erleben die Stichlinge jeden Herbst aufs Neue. Im Moment (27.10.2010) rafft es die Population in den untersten Becken, besser gesagt Pfützen dahin. Was sich die Vögel nicht schnappen bleibt trocken liegen und stirbt zappelnd im nassen Laub.
trockengelegte Stichlinge

trockengelegte Stichlinge

Wasserabfluss

Wasserabfluss am tiefsten Punkt

Schaut man unter das Laub findet man Schnecken, Käfer und an den Sammelstellen die Stichlinge und ab und zu noch ein Laubfrosch. Sie werden den nächsten Winter nicht überleben und trotzdem erscheint die Spezies in der nächsten Warmperiode neu. Mit dem letzten Wasser was im Berg verschwindet, verschwinden auch ein paar Stichlinge. Sie überwintern im Inneren des Kreuzberges. Wer es dorthin geschafft hat wird den Winter überleben. Einige von denen werden mit der alten Pumpe wieder an die Oberfläche gebracht, wo sie sich erneut einen Sommer lang vermehren werden. Wer weiß wann dieses Spiel begonnen hat? Diese Population von Gasterosteus aculeatus auf dem Kreuzberg ist jedenfalls geografisch autark und es besteht keine Verbindung vom Kreuzberg-Habitat zu irgendeinem anderen Habitat in der Umgebung. Man kann diese Art von Gasterosteus evolutionstechnisch schon mit einem eigenen Namenzusatz versehen: „Gasterosteus aculeatus „kreuzbergii“ wär mein Vorschlag für die wissenschaftliche Erstbeschreibung dieser „Nominat“-Form des dreistachligen Stichlings. Hier noch eine schöne Aufnahme aus dem „Kaulquappen“-Glas:

Gasterosteus aculeatus "kreuzbergii

Gasterosteus aculeatus "kreuzbergii"

Ich wünsche den Stichlingen im Berg diesen Winter jedenfalls alles Gute. Ich freue mich wenn ich sie im nächsten Frühjahr wieder im Wasserfall finden sollte. Falls nicht, habe ich dafür gesorgt das ein Ableger dieser Art außerhalb des Wasserfalls überwintern darf und somit bei Totalausfall in der nächsten Saison zur Verfügung stehen würde.

Lesen hier die aktuelle Fortsetzung: Sie sind wieder da!

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By 4zap • Berlin urban • 26 Okt 2010

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